Die Kunst des Spurenlesens

In einer vernetzten Welt, in der ein Großteil der menschlichen Kommunikation über Computersysteme läuft, hinterlässt jeder unentwegt Spuren. So sind Logfiles zunächst der Inbegriff der elektronischen Spur.

Es handelt sich um Spuren, die von den verwendeten Programmen automatisch und systematisch generiert werden. Jede noch so einfache Tätigkeit, wie das Schreiben eines Briefes, oder das Kopieren eines Objektes hinterlässt mehrere Spuren anhand derer rekonstruiert werden kann, wer wann was getan hat. Tatsächlich werden von fast jeder Software Logfiles geschrieben. Bereits eine einfache Suche nach allen Dateien genügt, um sich ein Bild über das genaue Ausmaß der „zurückgelassenen“ Spuren zu verschaffen.

Protokolle sind nur ein Teil, wenn auch der wichtigste Teil der elektronischen Spur. Das wichtigste Instrument zur Rekonstruktion von Spuren ist die Protokollanalyse.

Spuren werden vermischt,  überschrieben und beseitigt. Hier eröffnet sich auch das Feld der IT-Forensik, der Untersuchung verdächtiger Vorfälle im Zusammenhang mit IT-Systemen und der Feststellung von Tatbeständen und Tätern durch Erfassung, Analyse und Auswertung elektronischer Spuren. Eine maximale Verdichtung erfahren Spuren in urbanen Zentren.

Spur und Zeichen

Spuren sind im Ubiquitous Computing zugleich von Verdichtung und Verdrängung gekennzeichnet und so findet in der hochgradig vernetzten Welt auch ein Wettstreit um das Absondern von Spuren, Codes und Zeichen statt.

Fragt man nach der symbolischen Funktion der Spur, so wird deutlich, dass sie nicht nur auf das Sein verweist, sondern darüber hinaus. Hierin sieht etwa der Philosoph Emmanuel Levinas den Unterschied zwischen dem Begriff der Spur und dem des Zeichens, wie es in der strukturalistischen Linguistik des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure verstanden wird.

Nach Levinas ist es die Aufgabe des Zeichens, Vorhandenes in der Welt zu bezeichnen, das gegenwärtig abwesend ist. Die Spur aber ist das genaue Gegenteil, denn sie bezeichnet etwas, das nicht mehr in der gegenwärtigen Welt vorhanden ist. Sie bezeugt ein Anderes, das unsichtbar ist. Sie ist etwas aus der Vergangenheit, das eben nur eine „Spur“ hinterlassen hat.

Das Zeichen hat somit die ausdrückliche Funktion etwas zu bezeichnen, während eine Spur in die gegenwärtige Welt unabsichtlich eingedrungen ist.

Abb:. NMI/gemeinfrei
Die französiche Künstlerin Sophie Calle mit Spurenlegern

Kunst und Spur

Die Künstlerin Sophie Calle hat für das Werk „The Shadow“ im Jahr 1981 ihre Mutter gebeten, einen Detektiv zu beauftragen, der sie beschatten sollte. Die Fotos und die Berichte des Detektives, sowie ihre eigenen Notizen hat Calle veröffentlicht. Der maschinenschriftliche Bericht des Detektivs enthält ihren Blumenkauf, einen Friedhofsbesuch, einen Zeitungskauf, einen Friseurbesuch und Kino- und Louvre-Besuche. (Vgl Schaub, Mirjam, Die Kunst des Spurenlesens und –verfolgens, in Krämer/Kogge/Grube (Hrsg), Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt am Main 2007, 121-141.)

Die Künstlerin ist über die Monate ihres Projektes hinweg aber ihrerseits wieder völlig fremden Personen gefolgt. So wurde das gesamte Geschehen aus der simultanen Observierung derselben Sache aus verschiedenen Perspektiven dokumentiert.

Fasziniert von der zirkulären Kasuistik der Verfolgung, inszeniert Calle den Doppelcharakter der Spur, nämlich das Spurenlegen und das Spurenverfolgen. So bedarf es bei der Orientierung im Ubiquitous Computing einer besonderen Kunst des Lesens: der des Spurenlesens.

Jede Spur muss nämlich auch als Spur entdeckt werden, damit man ihr folgen kann. Und dabei birgt die Spur zugleich das Versprechen der Enttäuschung, weil sie letztendlich zu dem führen kann, der sie hinterlässt.

Abb:. NMI/gemeinfrei

 

@UBIFACTS/2013