Krypto-Anarchismus
Eben Moglen ist Professor für Recht und Rechtsgeschichte an der Columbia Law School in New York und sieht in der Unterscheidung von Eigentumsinteressen an Datenströmen ein zunehmendes Problem in computerbasierten Gesellschaften. Wenn das gesamte Leben heute in digitaler Form abgebildet werde, sei das Ausfluss der digitalen Revolution und dabei würden proprietäre Regime seiner Ansicht nach nichts verbessern.
Aus diesen Erwägungen heraus, hielt er Anarchismus (gelesen als besitz-ablehnender Individualismus) in der Netz-Gesellschaft für eine überlegenswerte Option. Zumindest waren das Überlegungen, die er in einem Aufsatz ausführte, der inzwischen zu einem Klassiker geworden ist, wenn es um die Ursprünge von Peer-to-Peer-Produktionskonzepten geht. Er hat diesen Beitrag anlässlich eines Vortrages an der Universität in Tel Aviv im Mai 1999 verfasst und dieser soll hier als historisches Dokument in seinen Grundzügen noch einmal dargestellt werden. Vielleicht vermag er einige Erklärungen für die Einordnung von Peer-to-Peer-Konzepten bieten, die sich mit der Philosophie des Kryptoanarchismus identifizieren, wie beispielsweise die Entwickler der Blockchain-Technologie.
Anarchismus
Anarchismus kann als eine Utopie und Theorie freiheitlicher Gesellschaften bezeichnet werden, wonach weder Macht noch Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeübt werden soll. Wenn die Freiheit des Menschen als höchster Wert gilt, bedeutet dies weiter, dass sich dieser Wert mit keiner Regierung vereinbaren lässt, auch einer Demokratie nicht, da deren Realisierung die Herrschaft der Mehrheit auf repräsentativem Wege bedeutet. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind daher die theoretischen Ziele des Anarchismus. (Vgl Börne, Freiheit geht nur aus Anarchie hervor, in: Neumann, Handbuch politischer Theorien und Ideologien, Hamburg 1977, 223.)
Free-Software-Bewegung
Der Erfolg der Free-Software-Bewegung und damit die größte Leistung Richard Stallmans sei ja nicht einfach ein Stück Computer-Code gewesen, sondern nach Moglens Ansicht liege der überwältigende Siegeszug von GNU/Linux in der Fähigkeit, hochwertige Leistungsbereitschaft für Projekte immenser Größe und Komplexität freizusetzen. Dies sei insbesondere durch den juristischen Rahmen gelungen, innerhalb dessen Arbeitskräfte mobilisiert werden könnten. (Vgl Moglen, Der Anarchismus triumphiert)
GPL
Die GNU General Public License ist eine Softwarelizenz, die es ermöglicht, Software auszuführen, zu studieren, zu ändern und zu verbreiten, also zu kopieren. Software, die diese Freiheitsrechte gewährt, wird auch als Freie Software bezeichnet. Die ursprüngliche Lizenz hat Richard Stallman von der Free Software Foundation (FSF) für das GNU-Projekt geschrieben. Die GPL also „copyleft“ benutze nach Moglen Urheberrecht, um die Phänomene des Anarchismus abzubilden. Die Präambel der GPL drückt dies aus: „Wenn wir über freie Software sprechen, beziehen wir uns auf Freiheit, nicht auf den Preis“.
Linux-Gesetz
Nicht-proprietäre Produktion sei nach Moglen zudem direkt verantwortlich für die Stabilität freier Software. Der Softwareentwickler und Hacker der frühen Dekaden Eric S. Raymond hat vom „Linux-Gesetz“gesprochen, das er folgendermaßen beschreibt: „Bei einer ausreichend hohen Zahl wachsamer Augen sind alle Fehler trivial. Freier Zugang zum Code bedeutet nämlich, dass im Fall eines Problems dieses sofort reparierbar ist und auch repariert wird. Da jeder es selbst reparieren kann, braucht der einzelne es faktisch so gut wie nie zu tun, weil immer irgendwer die Arbeit bereits übernommen hat“.
Für Free-Software-Gemeinschaften sei anarchistische Produktion nicht nur eine moralische Verpflichtung, so Moglen in seinem Beitrag, es gehe um Freiheit und Qualität.
Wie sich diese Freiheiten tatsächliche entwickeln werden, bleibt spannend, zumal sie sich in einem hochgradig globalisierten Spannungsfeld befinden und ständig neu formieren. Die Blockchain-Technologie stellt augenblicklich wohl eines der wichtigsten Beispiele auf diesem Gebiet dar: Wie frei macht die Blockchain?
©UBIFACTS/2017